Diese Pressestimmen weisen auf psychische Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen hin und machen damit auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, was in Fachkreisen schon länger zum gesicherten Wissen zählt: Kinder und Jugendliche haben in nicht unerheblichem Ausmaß und in unterschiedlichen Formen psychische Probleme. Kindheit ist keine unbeschwerte Zeit mehr und Jugend ist nicht mehr so, wie sie noch Joseph von Eichendorff (1788-1857) als „das noch gesunde und unzerknitterte, vom kleinlichen Treiben der Welt noch unberührte Gefühl der ursprünglichen Freiheit" (Eichendorff 1970). beschrieben hat. Einige Zahlen aus epidemiologischen Studien, die die oben genannten ergänzen und präzisieren, sollen diese verdeutlichen (vgl. u. a. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 1998; Blanz u. a. 1999; Petermann 2000; Junge u. a. 2002; Hurrelmann u. a. 2003; s. Abb 1).

 

  • Hyperaktivität: 3-5 Prozent der Kinder im Grundschulalter sind von Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitäts-Syndromen betroffen (ADHS)
  • Ängste: 10 Prozent der Kinder in Grundschulen leiden unter Ängsten, 16 Prozent der Jugendlichen. Mädchen mehr als Jungen, Hauptschüler mehr als Gymnasiasten
  • Depressionen: 10 Prozent der Jugendlichen leiden im Verlauf des Jugendalters mindestens an einer ernsthaften depressiven Episode. Am häufigsten sind Schülerinnen und Schüler von Realschulen betroffen, gefolgt von Hauptschülern. Am wenigsten betroffen sind Schülerinnen und Schüler von Gymnasien
  • Selbstmorde: 50-60 Kinder mit depressiven Störungen im Alter von 10-15 Jahren nehmen sich jährlich das Leben. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 25 Jahren sind es 1500.
  • Psychosomatische Beeinträchtigungen: 30-40 Prozent vornehmlich der Jugendlichen klagen über psychosomatische Beeinträchtigungen wie z. B. Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Rückenschmerzen, Nervosität, Schlafprobleme, Müdigkeit / Erschöpfung. Bis zu 60 Prozent der Hauptschülerinnen und -schüler geben solche Beschwerden an, bei Gymnasiastinnen und Gymnasiasten sind es 45 Prozent.

Insgesamt sind es etwa 12-18 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die psychische Störungen aufweisen. Das sind 1,8-2,7 Millionen der bis zu 18jährigen. 5 Prozent von ihnen sind psychisch so beeinträchtigt, dass sie dringend fachkundige Hilfe benötigen, 7-13 Prozent zeigen beobachtungs- und beratungsbedürftige Auffälligkeiten. Generell haben Jungen im Kindesalter ein etwa 2-3fach höheres Risiko, an psychischen Störungen zu erkranken als Mädchen. Im späteren Jugendalter gleichen sich die Raten allerdings wieder an.

Neben diesen Fakten gibt es weitere Hinweise, die als Indikatoren für eine noch viel breitere Gefährdung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gelten können. So ist z. B. bei den „Sorgentelephonen" für Kinder und Jugendliche eine wachsende Inanspruchnahme festzustellen. Mehr als 4 Millionen Anrufversuche sind allein beim Kinder- und Jugendtelephon des Kinderschutzbundes im Jahr 2002 registriert worden. Von mehreren zehntausenden sog. „Ausreißern" ist jährlich auszugehen. Bei Kindern und Jugendlichen unter 14 Jahren sind steigende Delinquenzraten festzustellen und eine zunehmende Gewaltbereitschaft bei Absenkung der Hemmschwellen. Zudem ist eine hohe Nachfrage nach psychosozialen Diensten, wie Kinder- und Jugendpsychotherapeuten und -psychiatern oder Erziehungsberatungsstellen zu verzeichnen. So ist z. B. die Inanspruchnahme von Erziehungsberatung als Jugendhilfeleistung in der Bundesrepublik seit 1993 um fast 39 Prozent auf 274600 beendete Beratungen in 2000 gestiegen.

All dies zeigt: ein nicht unerheblicher und in der Tendenz steigender Anteil der jungen Generation kann mit den Chancen und Risiken, die das Aufwachsen in der heutigen Gesellschaft mit sich bringt, nicht angemessen umgehen. Immer mehr Kinder und Jugendliche sind hiermit mehr oder weniger überfordert, sind von Eltern, Kindergarten und Schule nicht genügend vorbereitet worden, sind sich oft allein überlassen und empfinden Stress, „Frust", Wut, Sinnlosigkeit und Ausgeschlossensein.

Psychische Gesundheit (Paulus 1994), verstanden als die Fähigkeit, sich kompetent mit den gesellschaftlichen Anforderung auseinander setzen zu können („Produktive Anpassung") und im Leben auch eigene Wünsche, Bedürfnisse und Hoffnungen konstruktiv zu verwirklichen („Selbstverwirklichung"), ist für sie in weitere Ferne gerückt. Ebenso gefährdet ist die Entwicklung eines selbst bestimmten Lebens, das sich auf einer soliden Bildungsbasis gründet: Durch psychische Beeinträchtigungen steht auch der schulische Lernerfolg auf dem Spiel (Opp u. a. 2000 und Petersen 2000:294-298). Damit rückt aber die psychische Gesundheit immer deutlicher ins Zentrum der Aufmerksamkeit der schulischen Gesundheitsförderung.

Für sie gilt erst recht, was die Weltgesundheitsorganisation in dem eingängigen Slogan allgemeiner formuliert: „There is no health without mental health".