Nach neueren epidemiologischen Untersuchungen sind psychische, psychosomatische, psychosoziale und somatische Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen in nicht unerheblichem Masse verbreitet.

Bei vielen dieser Störungen ist zudem eine Vorverlagerung im Alter und eine Zunahme in der Häufigkeit zu beobachten. In einer knappen Übersicht ergibt sich folgendes Bild (1).

  • Chronisch körperliche Erkrankungen (z.B. Leukämie, Bluterkrankheit, Zuckerkrankheit, Herzfehler, Nierenversagen, kindliches Rheuma) nehmen zu. Etwa 10% aller Schülerinnen und Schüler sind heute davon betroffen (2). Die klassischen Infektionskrankheiten (z.B. Masern, Mumps, Röteln, Keuchhusten, Kinderlähmung, Scharlach) sind dagegen nur noch von geringer Bedeutung.
  • Psychosomatische Störungen sind weit verbreitet. Unter den verschiedenen Allergien leiden bis zu einem Drittel der Schülerinnen und Schüler. Die Häufigkeit hat sich seit den 50er Jahren fast verdoppelt. Von den allgemeinen psychosomatischen Beschwerden, wie Kopfschmerzen, Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten, berichten ein Drittel der Jugendlichen, wobei Mädchen viel häufiger solche Beschwerden anführen. Aber auch Störungen des Essverhaltens, wie unregelmässige Essen, ungünstige Zusammensetzung der eingenommenen Nahrung, unzweckmässige Durchführung von Schlankheitsdiäten, sind häufiger anzutreffen. Im Zusammenhang damit sind Mädchen (im Vergleich zu Jungen) sehr viel häufiger von Magersucht und Bulimie betroffen.
  • Psychische und psychosoziale Störungen, wie Verhaltensauffälligkeiten, emotionale Störungen oder Leistungs- und Teilleistungsstörungen, haben zugenommen. 10 bis 15 Prozent der Jugendlichen sind davon betroffen (3). Für den Formenkreis aggressiver Verhaltensauffälligkeiten ist noch ungeklärt, ob es zu einer realen Zunahme von körperlicher, psychischer oder verbaler Aggression bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren gekommen ist. Nach Hurrelmann (4) hat eher die Intensität der körperlichen, psychischen und verbalen Gewalt zugenommen (5).
  • Suchtkrankheiten breiten sich in allen Altersgruppen aus. Vor allem durch Alkohol, Nikotin, illegale Drogen und durch Arzneimittel hervorgerufene Suchtkrankheiten haben zu einer wachsenden Zahl von Abhängigen in allen Altersgruppen geführt. Nikotin- und Alkoholkonsum gehören zu den bei Jugendlichen üblichen Verhaltensweisen. So gibt im Jugendgesundheitssurvey (6) z.B. ein Drittel der 11 bis 15jährigen Jugendlichen an, gelegentlich Alkohol zu trinken. Bei ca. 10 Prozent liegt der Anteil derjenigen, die berichten, dass sie hin und wieder rauchen. Der Prozentsatz der regelmäßig Suchtmittel konsumierenden Jugendlichen ist dagegen wesentlich geringer. Nur 1 Prozent trinken und nur ca. 6 Prozent rauchen regelmäßig. Sie tun dies aber in erheblichem Umfang. Ebenfalls bei 1 Prozent liegt die Quote der regelmäßig oder gelegentlich illegale Drogen konsumierenden Jugendlichen. Mit zunehmendem Alter nimmt die Rate der Konsumenten allerdings zu. In den vergangenen Jahren zeichnet sich allerdings ein Rückgang der Prävalenzraten für den Drogenkonsum ab (7).

Wie schon angedeutet worden ist, sind männliche und weibliche Jugendliche nicht im gleichem Maße gefährdet. Je nach Störung bzw. Anomalie ergibt sich ein etwas anderes Bild.

Gefährdungen von Jungen und Mädchen (8)
 Anomalie / StörungGefährdung für männliche Jugendliche grösser?Gefährdung für weibliche Jugendliche grösser?
Alkohol- und Drogenmissbrauchjanein
Ängste und Phobiennicht eindeutig anzugebennicht eindeutig anzugeben
Delinquenz (aggressives und antisoziales Verhalten)janein
Depressionneinja
Essstörungenneinja
Gefährdung durch Trennung / Scheidung der Elternnicht eindeutig anzugebennicht eindeutig anzugeben
politischer Extremismusjanein
Schulversagen, Schulverweigerungjanein
Opfer sexueller Gewaltneinja
Suizidversuche, Selbstmordnein

ja

 

Anmerkungen:

(1) vgl. Kolip, P. (Hrsg.) (1994) Lebenslust und Wohlbefinden. Beiträge zur geschlechtsspezifischen Jugendgesundheitsforschung. Weinheim: Juventa
(2) Petermann, F.(1994). Chronische Krankheiten. Einführung in den Themenschwerpunkt. Kindheit und Entwicklung. Zeitschrift für Verhaltensmedizin und Entwicklungspsychopathologie, 3, S.3
(3) vgl. Remschmidt, H. & Walter, R. (1990). Psychische Auffälligkeiten bei Schulkindern. Göttingen: Hogrefe
(4) Hurrelmann, K. (19912.) : Sozialisation und Gesundheit. Somatische, psychische und soziale Risikofaktoren im Lebenslauf. Weinheim und München: Juventa
(5) vgl. Knopf, H. (Hrsg.) (1996). Aggressives Verhalten und Gewalt in der Schule. Prävention und konstruktiver Umgang mit Konflikten. München: Oldenbourg
(6) vgl. Kolip, P.; Hurrelmann, K. & Schnabel, P.-E. (Hrsg.) (1995). Jugend und Gesundheit. Interventionsfelder und Präventionsbereiche. Weinheim: Juventa
(7) vgl. Nordlohne, E. (1992). Die Kosten jugendlicher Problembewältigung. Alkohol-, Zigaretten- und Arzneimittelkonsum im Jugendalter. Weinheim: Juventa
(8) Kasten, H. (1996). Weiblich - männlich. Geschlechtsrollen und ihre Entwicklung. Berlin: Springer, S. 127

Ulrich Barkholz, Georg Israel, Peter Paulus, Norbert Posse: Gesundheitsförderung in der Schule. - Ein Handbuch für Lehrerinnen und Lehrer. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Soest 1997.