Die Schülerinnen und Schüler bringen nicht nur aus ihren lebensweltlichen Bezügen Gesundheitsprobleme und -belastungen mit in die Schule, sondern sie erleben unter Umständen Schule und Unterricht als gesundheitlich beeinträchtigende Faktoren. Die vorliegenden Ergebnisse sind hierzu allerdings noch uneinheitlich.

So antworteten auf die Frage "Wie wohl fühlst du dich in der Schule"? in der schon erwähnten repräsentativen Befragung 11-15-jähriger Schülerinnen und Schüler 73 Prozent, dass sie sich in der Schule wohl fühlen (1).

In einer anderen qualitativ angelegten Untersuchung (2), in der über 1000 Schüleraufsätze zum Thema Schule ausgewertet wurden ("Schule? Was ist das? Was macht ihr da? Wie gefällt es dir dort?"), ergaben sich konträre Ergebnisse: Danach äusserten sich 72 Prozent der Schülerinnen und Schüler negativ über ihr aktuelles Wohlbefinden in der Schule.

Sich in der Schule wohl fühlen (3)

Item: "In meiner Schule fühle ich mich wohl". Ausgewiesen sind die Antworten "stimmt genau" und "stimmt ziemlich" (Antwortvorgabe "stimmt genau", "stimmt ziemlich", "weder / noch", "stimmt nicht", "stimmt gar nicht")

Hauptschule

AltermännlichweiblichGesamt
11jährige 75% 75% 75%
13jährige 61% 71% 65%
15jährige 59% 76% 63%
Gesamt 64% 71% 67%


Realschule

AltermännlichweiblichGesamt
11jährige 76% 85% 81%
13jährige 65% 71% 68%
15jährige 63% 59% 61%
Gesamt 68% 72% 70%


Gesamtschule

AltermännlichweiblichGesamt
11jährige 71% 82% 76%
13jährige 58% 65% 61%
15jährige 55% 76% 64%
Gesamt 60% 74% 67%


Gymnasium

AltermännlichweiblichGesamt
11jährige 87% 90% 88%
13jährige 72% 76% 74%
15jährige 81% 73% 77%
Gesamt 81% 80% 80%

Auch wenn über das tatsächliche Ausmaß des Wohlbefindens der Schülerinnen und Schüler in der Schule zur Zeit noch keine Klarheit herrscht, kann aber dennoch davon ausgegangen werden, dass ein erheblicher Anteil der Heranwachsenden sich in der Schule nicht wohl fühlt. In der Literatur wird immer wieder auf den "Schulstress" als einem der wichtigsten Faktoren verwiesen (4).

Dieser Stress resultiert aus der zwiespältigen Stellung, die Schule im Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler hat. Einerseits hat sie nach wie vor einen unangefochtenen hohen Stellenwert, denn sie vergibt die notwendigen Qualifikationen, die den Einstieg in das Berufsleben Gewähr leisten sollen. Schulleistungen entscheiden mit über die späteren Lebenschancen. Andererseits bietet sie aber keine Garantie mehr dafür, dass gute Schulleistungen mit qualifizierten Berufschancen einhergehen. Dadurch, dass die Schul- und Berufslaufbahnen nicht mehr nahtlos ineinander greifen, hat die Schule für die Schülerinnen und Schüler nur noch begrenzt einen einsichtigen Nutzeffekt. Da die Inhalte der Schule vielfach auch große Diskrepanzen zur eigenen Lebenswelt mit ihren Problemen aufweisen, wird der Unterricht und die mit ihm verknüpften Leistungsanforderung oftmals als wenig sinnhaltig erlebt.

Schule als Getto

"Eine Gesellschaft, die ihre jungen Leute bis zum 25. Lebensjahr nicht braucht und sie dies wissen lässt, indem sie sie in »Schulen« genannte Gettos sperrt, in eine Einrichtung, die nichts Nützliches herstellt, an der nichts von dem geschieht, was die Menschen für wichtig halten, die sich nicht selbst erhält und die man nicht freiwillig besucht - eine Gesellschaft, die ihren jungen Menschen dies antut, wird sie verlieren, ganz gleich wie reich, wie demokratisch, wie aufgeklärt sie ist und wie verlockend sie dies darstellt. Die Jugend wird darauf pfeifen, nein darauf spucken, darauf treten" (5).

Der Leistungsdruck bei gleichzeitig abnehmender Sinnperspektive stellt für die Schülerinnen nicht selten eine problematische, krisenanfällige Situation dar. Schulleistungsbezogene Probleme sind daher auch ihre mit Abstand größten Probleme.

Leistungsprobleme in der Schule und Wohlbefinden

"Leistungsprobleme werden als spürbare Beeinträchtigungen des Wohlbefindens wahrgenommen. Die schulischen Leistungsschwierigkeiten hängen eindeutig mit Auffälligkeits- und Belastungssymptomen wie Drogenkonsum, delinquentem Verhalten, negativen Gefühlserlebnissen, psychosozialen Störungen und psychosomatischen Gesundheitsbeeinträchtigungen zusammen. Verhaltensauffälligkeiten und Gesundheitsbeeinträchtigungen sind verstärkt bei denjenigen Jugendlichen anzutreffen, die sich in schwierigen schulischen Leistungssituationen bei hohem Erwartungsdruck der Eltern befinden" (6).

Jungen leiden dabei unter der Bedrohung möglicher Arbeitslosigkeit und schlechter Berufsaussichten. Der Leistungsdruck und die Gefahr des Misserfolgs bewirken eine besonders stressanfällige Konstellation, in deren Folge sie eher dazu neigen, ihre Angst vor Kontrollverlust bzw. -unvermögen auszuagieren (7). Bei Mädchen führen die Misserfolgserwartungen eher zu Macht- und Hilflosigkeitsgefühlen, die im Kontext der weiblichen Geschlechterrolle mit depressiven Zuständen und Beeinträchtigungen des Immunsystems mit einer erhöhten Infektionsanfälligkeit einhergehen.

Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen von Gesundheit und welche Werte sie mit ihr verbinden

Gesundheit findet im Alltag der Kinder und Jugendlichen wenig Beachtung, sie wird als selbstverständliche Gegebenheit aufgefasst, wie aus den schon berichteten Selbstzuschreibungen hervorgeht. Sie haben aber Vorstellungen darüber, was Gesundheit ausmacht. Diese Konzepte entwickeln sich bei ihnen in Abhängigkeit vom kognitiven Entwicklungsniveau, wobei die konkreten Lebensbedingungen und der gesellschaftliche Kontext mitbestimmende Einflussgrößen sind.

In der nachfolgenden Übersicht sind die wichtigsten Befunde nach Altersgruppen in enger Anlehnung an Bengel u.a. (8) zusammengefasst.

Anmerkungen:

(1) vgl. Hurrelmann, K. & Klocke, A. (1994). Gesundheit im Jugendalter. Ein Forschungsbericht im Rahmen der Studie "Health Behaviour in School Aged Children - A cross-national-Study". Umfrage in der BRD an Schulen in Nordrhein-Westfalen. Bielefeld: Universität Bielefeld Sonderforschungsbereich 227
(2) Czerwenka, K., Nölle, K,. Pause, G., Schlotthaus, W., Schmidt, H.J. & Tessloff, T. (1990). Schülerurteile über die Schule. Bericht über eine internationale Untersuchung. Frankfurt: Lang
(3) Hurrelmann & Klocke, a.a.O.
(4) vgl. Hurrelmann, K. 1990, a.a.O.
(5) Hentig, H. v. (1993). Schule neu denken. München: Hanser, S. 188 f.
(6) Hurrelmann, K, (1990), a.a.O., S. 135
(7) vgl. auch: Schnack, D. & Neutzling, R. (1991). Kleine Helden in Not. Jungen auf der Suche nach Männlichkeit. Reinbek: Rowohlt
(8) Bengel, J., Bucherer, G., Strittmatter, R. & Buggle, F. (1995). Die Entwicklung von subjektiven Gesundheitskonzepten - Ein Überblick zur Forschungslage bei Kindern und Jugendlichen. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie, 3, 241-254

Ulrich Barkholz, Georg Israel, Peter Paulus, Norbert Posse: Gesundheitsförderung in der Schule. - Ein Handbuch für Lehrerinnen und Lehrer. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Soest 1997.