Hurrelmann verweist darauf, wie schwierig es für die Heranwachsenden offensichtlich geworden ist, äußere und innere Anforderungen produktiv zu verarbeiten, sowie eigene Wünsche, Anliegen und Hoffnungen in ihrem Leben zu verwirklichen. So stehen die Jugendlichen vor einem Bündel von Aufgaben und Anforderungen, die ihnen aus Familie, Schule, Beruf, der Gleichaltrigengruppe (Peers) und Partnerschaft heraus erwachsen.

Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz (1):

  • Aufbau eines Freundeskreises: Zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts werden neue, tiefere Beziehungen hergestellt.
  • Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinung; Veränderung des Körpers und des eigenen Aussehens annehmen.
  • Sich das Verhalten aneignen, das man in unserer Gesellschaft von einem Mann bzw. von einer Frau erwartet.
  • Aufnahme intimer Beziehungen zum Partner (Freund / Freundin).
  • Von den Eltern unabhängig werden bzw. sich vom Elternhaus loslösen.
  • Wissen, was man werden will und was man dafür können (lernen) muss.
  • Vorstellungen entwickeln, wie der Ehepartner und die zukünftige Familie sein sollen.
  • Über sich selbst im Bild sein: Wissen, wer man ist und was man will.
  • Entwicklung einer eigenen Weltanschauung: Sich darüber klar werden, welche Werte man hoch hält und als Richtschnur für eigenes Verhalten akzeptiert.
  • Entwicklung einer Zukunftsperspektive: Sein Leben planen und Ziele ansteuern, von denen man glaubt, dass man sie erreichen kann.

Die Auseinandersetzung mit diesen typischen "Entwicklungsaufgaben" geschieht vor dem Hintergrund der bisherigen Lebenserfahrungen der bzw. des jeweiligen Jugendlichen und den dabei herausgebildeten Eigenschaften (z.B. Kompetenzen, Motive, Gefühlsbereitschaften, Erwartungen). Wichtig ist auch, wie die aktuelle Situation in ihren Anforderungsgehalt eingeschätzt wird. Solche Auseinandersetzungen können misslingen. Ebenso kann die Bewältigung solcher Anforderungen, wie Trennung und Scheidung der Eltern, chronische Krankheit eines Familienmitgliedes, Arbeitslosigkeit des Haupternährers der Familie etc. die Jugendlichen in ihren Fähigkeiten überfordern. Die bei ihnen zu beobachtenden Auffälligkeiten können wesentlich als Folgen oder Begleiterscheinungen riskanter, problematischer und nicht gelingender Auseinandersetzungen mit solchen Lebensumständen gedeutet werden.

Typische Risikokonstellation für Problem- und Risikoverhaltensweisen scheinen bei Jugendlichen (2)

  • Schwierige schulische Leistungssituationen mit drohendem Schulversagen bei hohem Erwartungsdruck der Eltern,
  • Schwierigkeiten bei der Ablösung von den Eltern und damit einher gehend Probleme beim Aufbau eines eigenen Lebensstils (wobei besonders ausschlaggebend die emotional belastenden Auseinandersetzungen mit den Eltern sind) und
  •  Probleme bei der Integration in die Peergruppe (vor allem fehlende Akzeptanz und Beliebtheit)

Diese Aufzählung kann noch durch Risiken aus anderen Lebensbereichen ergänzt werden, so dass sich folgender Gesamtüberblick ergibt.

Lebens-
bereich
Beispiele für Risiken und BelastungenBeispiele für gesundheitsbe- einträchtigende FolgenBeispiele für
Massnahmen
FamilieTrennung der Eltern
Mehrfachbelastung der Eltern
gespannte Familienverhältnisse
psychosoziale Auffälligkeiten
psychophysiologische Beeinträchtigungen
Misshandlungen
Kindertagesbetreuung
Nachbarschaftshilfe
Familienberatung
finanzielle Familienhilfen 
SchuleLeistungs- und Statusdruck
überhöhte Leistungsmotivation
Sinndefizit
unsichere Berufsperspektiven
Leistungsstörungen
Nervosität und Unruhe
Drogenkonsum
Aggressivität
 
Verbesserung des Schulklimas
schülerbezogener Unterricht
flexible Schulwahlmöglichkeit
Freizeit/ öko- soziale
Umwelt
einseitige Stimulierung der Sinne
Wertirritationen
Desorientierungen
unausgewogenes Konsumgüterangebot
Luftverschmutzung
Schadstoffbelastung von Wasser, Boden und Nahrung
Gefährdung im Strassenverkehr
Hyperaktivität
Konzentrationsstörungen
Angst- und Affektsyndrome
Depressive Syndrome
Stoffwechselstörungen
allergische Reaktionen
Krebskrankheiten
Unfallschäden
Verbesserung des Freizeitangebots
Stärkung der individuellen Aneignungskraft
Umweltschutzgesetze
Hygienebestimmungen
Erschliessung von Strasse und Wohnwelt als Lebensraum

 

Dieses Modell macht auf die Ressourcen aufmerksam, die den Heranwachsenden zur Auseinandersetzung mit den Lebensanforderungen zur Verfügung stehen. Sie sind schon als Protektivfaktoren der Gesundheit vorgestellt worden.

Sind sie vorhanden, dann stützen sie z.B. eine aktive Stressbewältigung, in der die Heranwachsenden durch gezielte Einflussnahme auf die Belastungssituation und auf die eigenen Belastungsreaktionen die Situation zu meistern versuchen. Ein Mangel an Ressourcen und / oder zusätzliche Belastungen erschweren eine konstruktive Bewältigung bzw. ziehen risikoreichere und gesundheitsbeeinträchtigende Verarbeitungsweisen nach sich.

Problematische und risikoreiche Formen können z.B. Resignation, Selbstbemitleidung, Selbstbeschuldigungen, Flucht, soziale Abkapselung, Vernachlässigung der eigenen Person oder auch die Einnahme von Drogen oder Medikamenten sein (4).

Anmerkungen:

(1) Oerter, R. & Dreher, E. (1995). Jugendalter. In Oerter, R. & Montada, L. (Hrsg.). Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz, S. 328
(2) vgl. Engel & Hurrelmann 1988 zit. n. Seiffge-Krenke, I. (1994). Gesundheitspsychologie des Jugendalters. Göttingen: Hogrefe, S. 117f
(3) Hurrelmann, K. (1991). Neue Gesundheitsrisiken für Kinder und Jugendliche. Können die bio-psycho-sozialen "Kosten" der modernen Lebensweise durch Gesundheitserziehung gemindert werden? Pädagogik, 43, S. 6-11
(4) vgl. Seiffge-Krenke, I. (1994). Gesundheitspsychologie des Jugendalters. Göttingen: Hogrefe; sowie: Janke, W., Erdmann, C. & Kallus, W. (1985). Stressverarbeitungsfragebogen. Göttingen: Hogrefe

Ulrich Barkholz, Georg Israel, Peter Paulus, Norbert Posse: Gesundheitsförderung in der Schule. - Ein Handbuch für Lehrerinnen und Lehrer. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Soest 1997.