Im Jugendalter werden alle diese Anforderungen zum ersten Mal in vollem Umfang abverlangt. Die meisten Jugendlichen erfüllen die Anforderungen, aber etwa ein Fünftel von ihnen ist überfordert. Seit mehreren Jahren beobachten wir in unseren Bielefelder Untersuchungen die Folgen dieser Überforderung. Heute sind schon bei Kindern und Jugendlichen Beeinträchtigungen der Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung zu verzeichnen, die wir bisher nur von Erwachsenen kannten. Schon Kinder haben Managerkrankheiten und leiden unter ungesundem Stress. Bei Jugendlichen sind drei typische Ausprägungsformen von unproduktiver Problemverarbeitung zu erkennen, die in den letzten 10-20 Jahren an Verbreitung gewonnen haben (Hurrelmann 2000):

  • Die depressive Variante: Als Reaktion auf Überforderung zeigen sich psychische und körperliche Erschöpfungszustände, Nervosität und Unruhe, Magenverstimmung und Schlafstörungen - unspezifische Störungen also, die mit einer Überlastung der körperlichen, seelischen und sozialen Regelkreise und Bewältigungskapazitäten zu tun haben, mit einem hektischen Tagesrhythmus, viel Stress und auch einem unzureichenden Entspannungsverhalten. Oft werden diese Beschwerden - bildhaft zutreffend - als „psychosomatisch", „ökosomatisch" oder „soziosomatisch" bezeichnet. Sie sind bei etwa 20% der Kinder und Jugendlichen zu verzeichnen und vielfach mit Müdigkeit, Gereiztheit, Überforderung, Angst und Einsamkeitsgefühlen verbunden und bis zu echter Depression führend. Diese innen gerichtete Form der Problemverarbeitung tritt bei Mädchen vom zweiten Jahrzehnt des Lebens häufiger auf als bei Jungen und ist charakteristisch für Stile der Überlastungsregulation.
  • Die aggressive Variante: Der Gegenpol ist die nach außen gerichtete Form der Verarbeitung von Problembelastungen. Sie tritt besonders häufig bei Jungen und männlichen Jugendlichen auf. Dazu gehören alle Ausprägungen von Hyperaktivität, aber auch die Verbreitung körperlicher, psychischer und verbaler Formen der Aggression und Gewalt und teilweise auch der kriminellen Verhaltens. Bei repräsentativen Vergleichsuntersuchungen mussten wir feststellen, dass ein Anstieg von gewalttätigen Verhaltensweisen bei Jugendlichen eingetreten ist. Der Hintergrund scheint auch hier in sozialer Desorientierung, familialer Haltlosigkeit, tiefer Enttäuschung von Bindungserwartungen und Frustration von Selbstwertgefühlen zu liegen.
  • Die ausweichende Variante: Eine Mischform aus den beiden bisher genannten problematischen Verarbeitungsformen ist der Konsum von psychoaktiven Substanzen, also legalen und illegalen Stoffen zur Manipulation des zentralen Nervensystems. Der Einstieg in den Zigaretten-und den Alkoholkonsum hat sich in den letzten 10 Jahren weiter nach vorne im Lebenslauf verlagert, der Medikamentenkonsum hat ebenfalls stark zugenommen. Auch ausweichende Suchtmuster des Verhaltens (Kaufsucht, Computersucht, Glücksspielsucht) sind hierunter zu fassen. Beide Geschlechter sind hier etwa gleich stark vertreten.