Sicherheitsförderung orientiert sich nicht ausschließlich am Risikofaktorenmodell, bei dem es darum geht, die Faktoren zu identifizieren, die die Wahrscheinlichkeit für Unfälle oder gesundheitliches Risikoverhalten erhöhen. Im Mittelpunkt der Überlegungen schulischer Sicherheitsförderung stehen die Ressourcen, d.h. Eigenschaften und Fähigkeiten, die dazu beitragen, Sicherheit und - weiter gefasst - Gesundheit zu erhalten, zu verbessern oder wiederzugewinnen. Ob Menschen in ihrer Sicherheit gefährdet sind oder nicht, wird demzufolge davon beeinflusst, welchen und wie vielen Risikofaktoren sie ausgesetzt sind, aber auch und vor allem über welche Ressourcen sie verfügen, diesen Risiken zu begegnen.

Grundlegend für den Erhalt oder die Wiederherstellung von Sicherheit sind zum einen sicherheitsrelevante Kenntnisse sowie motorische und sensomotorische Fähigkeiten und Fertigkeiten, aber auch der Kohärenzsinn und Alltagskompetenzen.

Unter Kohärenzsinn versteht man ein überdauerndes, dynamisches Gefühl des Selbstvertrauens des Menschen, dass die Anforderungen der Umwelt verstehbar sind (Verstehbarkeit/comprehensibility).

In der Schule sollte sich daraus eine realistische Einschätzung der Gefahren ergeben; dass man über Ressourcen verfügt oder sie entwickeln kann, um die Anforderungen zu bewältigen (Bewältigbarkeit/managebility). Kinder und Jugendliche mit Kohärenzsinn sind in der Lage, sich gegen auftretende Gefahren zu schützen, entweder indem man sich riskanten Situationen verweigert oder z.B. durch Erlernen zusätzlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten wie geschicktes Fallen oder Balancieren; Anforderungen als Herausforderungen zu empfinden, für die es sich lohnt, Energie und Zeit einzusetzen (Sinnhaftigkeit/meaningfulness). Für den kohärenten Jugendlichen macht es Sinn, Zeit und Energie in das Erlernen einer neuen Sportart zu investieren.

(Vgl. Regina Krause: Risiko-Kommunikation risikolos und effektiv gestalten, in: Neue Wege zur Unfallverhütung im Sport, S.60. ) Je größer das Ausmaß an Kohärenz, desto geringer die Gefahr, unvernünftige Risiken einzugehen.

Alltagskompetenzen und -fähigkeiten sind im Verständnis der WHO Kompetenzen und Fähigkeiten zur Anpassung und zu positivem Handeln, welche es Individuen ermöglichen, mit den Anforderungen und Herausforderungen des Lebens wirksam umzugehen (WHO 1998: Glossar: Gesundheitsförderung. Genf S. 6). Dabei geht es um Fähigkeiten wie Entscheidungen treffen, Probleme lösen, die Entwicklung von Kommunikationsfähigkeiten, von sozialen und persönlichen Kompetenzen usw., um diejenigen Aspekte also, die es den Kindern und Jugendlichen ermöglichen, das eigene Leben zu meistern und zu gestalten (Cornelia Oertle-Bürki: Gesundheit 21, Bern 1999, S. 43).

Die Förderung dieser Ressourcen weist über Schule und Sicherheit hinaus und hat fast generalpräventive Wirkung. Demzufolge wirken umfassende Sicherheitsförderungsprogramme im Gegensatz zu traditionellen Unfallverhütungsmaßnahmen, die spezifisch auf bestimmte Unfälle Einfluss nehmen sollen, eher unspezifisch, da oft zugleich mehrere Aspekte der Sicherheit und des Wohlbefindens verbessert werden. So können Maßnahmen der Sicherheitsförderung, die z.B. die Lebenswelt der Schule bewegungsfreundlicher gestalten sollen, nicht nur dazu führen, dass sich Schülerinnen und Schüler mehr bewegen, sondern auch dazu, dass es zu weniger Gewalttaten kommt und das Selbstwertgefühl von Schülerinnen und Schülern gesteigert und damit das Wohlbefinden der Gruppe verbessert wird. Diese unspezifische Wirkung der Sicherheitsförderung macht es allerdings auch schwieriger, die Programme und Angebote zu evaluieren, da klare Indikatoren zur Beurteilung der Effekte fehlen.