„Meine ersten Erfahrungen mit Mobbing musste ich schon sehr bald nach dem Wechsel zum Gymnasium machen. Außer mir waren noch vier andere Kinder aus meiner Grundschule in meiner Klasse. Einer davon war Dirk, der mich noch nie besonders mochte. Meinen Sinn für Humor hielten viele für albern und Dirk war sehr bemüht, dies auch allen klar zu machen. Außerdem bot meine damalige Vergesslichkeit, die auch von der Klasse wahrgenommen wurde, reichliche Angriffsflächen. Da ich auch sportlich nicht begabt war, stellten sich bald erste Reaktionen der Klasse ein. Im Sportunterricht wurde ich von Mitschülerinnen und Mitschülern grundsätzlich als Letzter in die Mannschaft gewählt.

Im Spiel selbst wurde ich dann auch fast nie angespielt, hatte also gar keine Chance zu zeigen, dass ich gar nicht so schlecht war.

In der 6. Klasse gab es ein Basketball-Turnier. Ich wurde als Auswechselspieler gewählt und war an diesem Tag auch pünktlich und mit Sportzeug in der Halle. Als schon ein paar Auswechselspieler eingewechselt wurden, wollte ich auch mitspielen. Ich konnte einen Spieler überreden, für mich aus dem Spiel zu gehen. Aber als ich gerade erst ein paar Sekunden auf dem Spielfeld war, wurde ich sofort wieder von anderen heruntergeholt und an meiner Stelle ein Mitschüler eingesetzt, der gar kein Auswechselspieler war. Ich kam an dem Tag nicht wieder ins Spiel, und dabei wollte ich doch allen beweisen, dass ich zumindest ein bisschen spielen konnte.

Ein weiterer Vorfall ereignete sich, als mir ein Mädchen von hinten einen nassen Schwamm ins Gesicht drückte. Auf die Frage unseres Klassenlehrers, warum sie dies gemacht hätte, meinte sie nur: „Weil der doof ist." Damit gab das Mädchen nur die allgemeine Stimmung gegen mich wieder. Ich galt damals eben als doof, egal, was ich machte.

In den Sommerferien nahm ich mir vor, im nächsten Schuljahr endlich meine Situation in der Klasse zu verbessern. Doch schon am Anfang der 7. Klasse stellte sich heraus, dass es nicht einfach werden würde - im Gegenteil. Wir bekamen zwei Schüler, die ein Jahr wiederholen mussten. Einer von ihnen, Klaus, war sehr geschickt im gezielten Mobben. Es dauerte nicht lange, bis er herausgefunden hatte, dass ich in der Klasse zu den Außenseitern gehörte und nur geringen Rückhalt hatte. Von nun an gab es mehr Aktionen gegen mich als je zuvor. Die beliebtesten Sprüche von Klaus waren: „Willst du nicht aus dem Fenster springen?" und „Dreh dich um, guck mich nicht an!" Ich war diesen Aktionen hilflos ausgeliefert, besonders weil diese Sprüche in der Klasse heftig belacht wurden.

In der 8. Klasse verschlimmerte sich meine Lage noch mehr. Eine Aktion, an die ich mich noch sehr gut erinnern kann, war, dass Klaus und seine Freunde meine Jacke mit einem Bindfaden an den Stuhl fesselten. Der Faden war so reißfest, dass ich meine Jacke nicht mit den Händen freibekam. Meine vergeblichen Versuche wurden belacht und hämisch kommentiert. Danach wusste ich nicht mehr weiter, also wandte ich mich an meinen Klassenlehrer. Da Anfang der Jahrgangsstufe 8 der Klassenlehrer gewechselt wurde, wusste er nur wenig von der Situation in der Klasse. Seine einzige Maßnahme war, dass er mich probehalber umsetzte. Wir hatten zu der Zeit noch eine Jungen- und eine Mädchenseite. Ich landete also bei den Mädchen. Nach der Schule nervte mich Rolf, ein Mitschüler, der den gleichen Heimweg hatte wie ich. Ich hätte angeblich bei Klaus Telefonterror gemacht und er habe meine Stimme erkannt. Er nervte mich solange, bis ich ihn wegschubste. Das war aber ein Fehler, denn kurz darauf lag ich am Boden.

Am nächsten Tag machte Klaus deutlich, dass sie mir nach der Schule wieder auflauern wollten. Deswegen verließ ich die Schule durch den Hinterausgang. Schlimm war für mich nicht in erster Linie die Angst, doch noch erwischt zu werden, sondern das demütigende heimliche Wegschleichen selbst. Die Angst vor dem Schulweg blieb.

Die Angriffe wechselten. Kurze Zeit später sei angeblich ein Liebesbrief von mir an einen anderen Jungen (!) der 9. Klasse, den ich nicht einmal kannte, aufgetaucht. Ob dieser Brief von irgendjemand in meinem Namen jemals geschrieben worden ist, habe ich nie erfahren, aber seine Wirkung hat er nicht verfehlt. Weiter erhielt ich dann einige „gute Ratschläge", wie ich mein Äußeres verbessern könnte. So wurde also jeder Pullover, der zu sehr nach „von Mutter ausgesucht" aussah, Stein des Anstoßes, auch meine Frisur usw. Zu der Zeit waren diese Art „Poesiealben", wo jeder persönliche Dinge wie Lieblingsessen, Hobbys usw. eintragen konnte, sehr beliebt. Dort tauchte dann mein Name unter der Rubrik „Ich hasse" zwischen Krieg, Nazis und Umweltverschmutzung auf.

Für unsere Skifahrt, die im 2. Halbjahr der 8. Klasse durchgeführt wird, hatte ich mir vorgenommen, mich irgendwie selbst aus dieser Situation zu befreien. Das war jedoch nicht so einfach, weil ich den Ursachen der Angriffe auf mich meistens ratlos gegenüberstand."