Schule macht also nicht nur krank. Dieses Bild, das manchmal auch in den Medien transportiert wird, ist einseitig. Schule ist auch ein Ort, an dem Gesundheit entsteht. Es schildern ja auch nicht alle Lehrkräfte schwerwiegende berufliche Belastungen. Sicher sind diejenigen eine Ausnahme, die gar keine Schwierigkeiten und Probleme mit ihrem Beruf haben. Aber eine grössere Anzahl der Lehrkräfte schildert auch wenige oder kaum erlebte Belastungen. Und auch die, die über viele bzw. starke derartige Einschränkungen ihres Befinden berichten, erleben im beruflichen Alltag auch andere Momente, die eher ihr Wohlbefinden ansprechen. Denn neben dem täglichen "Kleinkram" der den Lehrkräften "auf die Nerven geht", gibt es auch die täglichen "Glücksmomente", die zum Wohlbefinden und zum Gesundsein beitragen.

Solche und andere Faktoren, die zur Gesundheit der Lehrkräfte in der Schule beitragen, werden als Gesundheitsressourcen bezeichnet. Es sind "Kraftquellen", die helfen, den beruflichen Alltag erfüllter, sinnvoller und damit lebenswerter zu machen.

Welche Merkmale kommen als Ressourcen in Frage? Wie im Falle der beruflichen Belastungen, ist es auch hier sinnvoll, in der Darstellung zwischen personalen und situativen Ressourcen zu unterscheiden.

Zunächst zu den situativen Ressourcen: Die schon erwähnten Forschungen über die Berufszufriedenheit der Lehrkräfte können auch hier wieder herangezogen werden. Eine gute Übersicht zu solchen Ressourcen bietet Barth,(1) der Grund- und Hauptschullehrerinnen und -lehrer nach den "schönen Seiten" ihres Berufs befragte (s. Abb. 14).

Die "schönen Seiten" des Berufs aus der Sicht von Grund- und Hauptschullehrerinnen und -lehrern


1. Umgang mit jungen Menschen     27%
2. Relativ viel Selbständigkeit in der Berufsausübung     22%
3. Anregende, abwechslungsreiche Tätigkeit     18%
4. Sichere, unkündbare Stellung     9%
5. Verhältnismässig viel Freizeit     9%
6. Möglichkeiten für Teilzeitbeschäftigung     5%
7. Erfüllung einer sozialen Aufgabe     5%

Abb. 14: Die schönen Seiten des Berufs (2)

Setzt man diese und andere Befunde in Relation zu den Systemebenen der Schule, dann zeigt sich, dass das Ausmaß der Berufszufriedenheit und damit auch das Wohlbefinden in der Schule vor allem von Ressourcen des strukturell-sozialen und technisch-instrumentellen Subsystems der Schule abhängig ist.

Wichtige Gesundheitsressourcen im kulturell-politischen Subsystem der Schule (Identität und Strategie):

  • sichere, unkündbare Stellung

Wichtige Gesundheitsressourcen im strukturell-sozialen Subsystem der Schule (Aufbaustruktur, Menschen, Beziehungen, Organe, Funktionen)

  • Merkmale der Schülerinnen und Schüler (z.B. offen, gesprächsbereit, vertrauensvoll, friedlich, freundlich, humorvoll, zufrieden, lernwillig, fleissig, kritisch, interessiert, zeigen Anerkennung)
  • Merkmale der Kolleginnen und Kollegen (z.B. humorvoll, tolerant, höflich)
  • Merkmale des Kollegiums (z.B. Harmonie und gute Stimmung)
  • Kollegiale Kooperation (z.B. Zusammenarbeit mit gleich gesinnten, engagierten Kolleginnen bzw. Kollegen)
  • Kooperation mit den Eltern (z.B. zur Zusammenarbeit bereite Eltern; Eltern, die die Leistungen der Lehrerin/des Lehrers anerkennen)
  • Kooperation mit der Schulleitung (z.B. harmonische Zusammenarbeit; Wertschätzung der geleisteten Arbeit der Lehrerin/des Lehrers)

Wichtige Gesundheitsressourcen im technisch-instrumentellen Subsystem der Schule (Arbeitsaufgaben, Schulorganisation, Schulhygiene)

  • Umgang mit jungen Menschen
  • relativ viel Selbständigkeit in der Berufsausübung
  • anregende, abwechslungsreiche Tätigkeit
  • verhältnismässig viel Freizeit, Freiraum für Entspannung und Erholung
  • Möglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung
  • Erfüllung einer sozialen Aufgabe
  • gut vorbereiteter Unterricht mit interessanten Themen
  • Unüblichere Unterrichtsformen (z.B. Gruppen- und Projektarbeit, Arbeitsgemeinschaften)
  • Arbeitsatmosphäre in der Klasse (entspannt, humorvoll, mit guter Laune)- Klassenfahrten
  • ausserunterrichtliche Aktivitäten mit Schülerinnen und Schülern

Auf der Personenseite lassen sich die folgenden Ressourcen identifizieren, die zur Berufszufriedenheit und damit zum Wohlbefinden beitragen:

Wichtige Gesundheitsressourcen der Lehrkraft

  • mittlere bis geringe berufliche Belastungen,
  • positive Einstellung und Motivation zum Beruf
  • Erfolg und Anerkennung im Beruf,
  • geringes Ausmaß an Konflikten in den Beziehungen zu Schülern, Kollegen, Vorgesetzten und Eltern sowie vor allem
  • Freude und Sicherheit in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
  • körperlich und seelisch gesund sein
  • ausgeruht und fit fühlen
  • keine persönlichen oder ausserberuflichen Belastungen

Auch wenn sie hier nicht deutlich benannt sind, lassen sich in diesen personalen Ressourcen die schon beschriebenen drei Faktoren des "Kohärenzgefühls" von Aaron Antonovsky(3) wieder entdecken: Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns, die Kontrollierbarkeit und die Bewältigbarkeit der Anforderungen, die Verstehbarkeit der Zusammenhänge.

In einer abschliessenden Übersicht werden beide Ressourcengruppen, schulische und personale, in einer etwas anderen Zusammensetzung aufgelistet. Diese Sammlung ist das Ergebnis einer Experten- und Expertinnendiskussion zu salutogenen Faktoren in der Schule. Sie stellen aus deren Sicht bedeutsame Faktoren dar. Sie können als begründete Hypothesen gelten, deren empirische Bewährung allerdings noch aussteht.

Schulische Gesundheitsressourcen - Eine Einschätzung von Expertinnen und Experten (4)

Pflege, Schutz und Fürsorge:

  • Körperpflege, Instandhaltung der Räume, Qualität der Nahrung und Kleidung, Schutz vor Erkrankungen und Verletzungen.

Umgebung und Mitwelt:

  • gute Lichtverhältnisse, Qualität der Luft, Lärmreduktion, Schutz vor Schadstoffen, gutes Raumklima, angemessene Ausstattung.

Aktivierung, innere und äussere Beweglichkeit:

  • bedürfnisgerechte Bewegungsangebote, Beachtung ergonomischer Gesichtspunkte, Rhythmisierung des Alltags, Kräfte sammeln und in das Veränderbare investieren.

Seelische und geistige Stimulation:

  • Identitätsbildung, Persönlichkeitsstärkung, Förderung der Fähigkeit sinnlicher Wahrnehmung, Pflege der Schulkultur, Lern- und Arbeitszufriedenheit.

Kommunikation und Kooperation:

  • Bereitschaft zur Teamarbeit, zu Öffnung und Austausch, Akzeptanz von Fremdheit, Gruppendruck und Widersprüche aushalten, Konflikte bewältigen, Probleme lösen, Organisationen entwickeln, Selbstorganisation stärken.

Förderung von "Gesundheitsquellen" in der beruflichen Tätigkeit von Lehrkräften

Bisher ist in der Forschung und auch in der Praxis der Hilfen für die Lehrkräfte der Blick sehr darauf gerichtet gewesen, berufliche Belastungen zu reduzieren oder zu verhindern. Es darf aber nicht vergessen werden, dass dies nur ein Zugang ist. In der Perspektive der Gesundheitsförderung geht es vor allem auch um den Aufbau und die Entwicklung der erwähnten personalen und situativen "salutogenen Ressourcen". Die Frage ist, was Lehrkräfte wie tun können, um ihre persönlichen und schulischen salutogenen Ressourcen zu fördern, damit die ohne Zweifel auch vorhandenen beruflichen Belastungen nicht zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass ein Teil der beruflichen Belastungen durch eine systematische Förderung der "Gesundheitsquellen" auch abbauen lässt.

Anmerkungen:

(1) Barth, A.-R. (1992). Burnout bei Lehrern. Göttingen: Hogrefe

(2) Barth 1992, zit. n. Ulich 1994, a.a.O., S. 26

(3) Antonovsky, A. (1979). Health, stress and coping. San Francisco: Jossey-Bass

(4) Arnhold, W.; Barkholz, U.; Gabriel, R.; Paulus, P. (1995). Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen. Zweiter Zwichenbericht der Projektleitung und der wissenschaftlichen Beratung. Flensburg: Projektunterstützungszentrum

Ulrich Barkholz, Georg Israel, Peter Paulus, Norbert Posse: Gesundheitsförderung in der Schule. - Ein Handbuch für Lehrerinnen und Lehrer. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Soest 1997, S.79f