Bernhard Badura,
Fakultät für Gesundheitswissenschaften,
Universität Bielefeld

Das Interesse an betrieblicher Gesundheitsförderung hat in den vergangenen Jahren in der deutschen Wirtschaft deutlich zugenommen. Immer mehr Unternehmen sind bereit, in betriebliche Gesundheitsförderung zu investieren. Das eben in Kraft getretene Gesundheitsreformgesetz der rot-grünen Koalition erlaubt es der gesetzlichen Krankenversicherung, wieder - wenn auch in bescheidenem Umfang - in diesem Bereich tätig zu werden, d. h. nicht nur das nachträgliche Kurieren bereits eingetretener Erkrankungen zu finanzieren, sondern auch Vorbeugung und Gesundheitsförderung. Die bei den Unternehmen mit Gesundheitsförderung verfolgten Ziele richten sich entweder auf kurzfristige Kostensenkung durch Reduzierung von Fehlzeiten. Dies trifft in den meisten Fällen zu. Oder - auch dies gibt es - sie sind eher weitergesteckt und richten sich auf Organisationsentwicklung und Befähigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, damit sie mit den Herausforderungen der Globalisierung und anhaltenden Restrukturierung besser fertig werden.

Auch der öffentliche Sektor zeigt Interesse an diesem Thema. Die Gewerkschaft "Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr" führt z. B. gegenwärtig ein Modellvorhaben in vier Betrieben des öffentlichen Sektors durch, das von meiner Arbeitsgruppe wissenschaftlich begleitet und evaluiert wird. Dieses Modellvorhaben setzt nicht bei Symptomen an, wie z. B. überhöhten Fehlzeiten der Beschäftigten. Der Spieß wird vielmehr umgedreht mit der Behauptung: Die im öffentlichen Sektor hohen Fehlzeiten der Beschäftigten seien wesentlich verursacht durch demotivierendes und krank machendes Führungsverhalten.

Bestätigt wird diese Einschätzung durch Ergebnisse einer Befragung von Beschäftigten im öffentlichen Sektor, die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführt wurde:

  •     Gesundheitsförderliche Merkmale des Vorgesetzten-Verhaltens in der öffentlichen Verwaltung
  •     Gleichbehandlung der Mitarbeiterlnnen
  •     Einhaltung von Delegationsregeln l Unterstützung durch Vorgesetzte
  •     Beteiligung der Mitarbeiterlnnen an Entscheidungen im eigenen Arbeitsbereich

Quelle: Oppolzer/Bertelsmann-Stiftung

Auch Lehrerinnen und Lehrer erleben offenbar "Führungsmängel" als größte Belastung. Was belastet, was wird als belastend erlebt? Was macht den Lehrerberuf zum Stressberuf?

Einem bei RUDOW (1994) veröffentlichten Befragungsergebnis werden folgende Merkmale oder Begleitumstände der Lehrertätigkeit als belastend erlebt:

 

Rangplatz  Tätigkeitsmerkmale Häufigkeit 
01Unzufriedenheit mit Führungsstil der Schulleitung bzw. akute Konflikte mit der Leitung78,3 %
02eingeschränkter Entscheidungs- und Handlungsspielraum75,0 %
03,5zeitweise Überforderung durch Häufung von Anforderungen in best. Zeitabschnitten des Schuljahres70,0 %
03,5keine Identifikation mit einzelnen Anforderungen im außerunterrichtlichen Bereich70 %
05,5Fehlende bzw. unzureichende soziale Hilfe66,6 %
07Überforderung durch langandauernde psychomentale Belastung63,3 %
08 Angreifbarkeit und Rechtfertigungspflicht hinsichtlich getroffener Entscheidungen56,6 %
09unzureichende Wertschätzung der eigenen Tätigkeit 50,0 %
10Selbstwertbedrohung durch Schülerverhalten48,3 %
11Verantwortungsdruck46,6 %

Arbeitsunfähigkeitstage je AOK-Mitglied  

 BerufTage
Gärtner, Gartenarbeiter 30,6
Waldarbeiter, Waldnutzer30,4
Hauswirtschaftliche Betreuer30,2
Strassenreiniger, Abfallbeseitiger30,1
Hilfsarbeiter29,4
Straßenbauer28,7
Maler, Lackierer (Ausbau)28,6
Maurer28,6
Soldaten, Grenzschutz, Polizei 28,2
Köche 27,5
Durchschnitt der öffentlichen Verwaltung und Sozialversicherung22,6
Heimleiter, Sozialpädagogen12,9
Leitende Verwaltungsfachleute12,9
Real-, Volks-, Sonderschullehrer 12,7
Datenverarbeitugsfachleute12,3
Fachschul-, Berufsschul-, Werklehrer10,1
Gymnasiallehrer 8,2
Facharbeiter/innen7,9
Lehrer für musische Fächer 5,8
Hochschullehrer, Dozenten 4,7
Sonstige Arbeitskräfte2,2

In den Schulen unseres Landes besteht in dieser Sache offensichtlich erheblicher Handlungsbedarf. Dafür sprechen auch das seit Jahren sinkende Frühberentungsalter bei Lehrern und die überhäufig auftretenden psychischen bzw. psychosomatischen Schäden als Ursachen krankheitsbedingter Frühberentung.

Vorzeitige Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit in Niedersachsen 1996    

 

1996 wurden in Niedersachsen pensioniert: davon vorzeitig wegen Dienstunfähigkeit
Lehrkräfte1200 67756,5 %
übrige Landesbeamte 979261 26,7 %

Diese Differenz ist aufzuklären und durch wirksame Maßnahmen zu bekämpfen.

Anteile der psychischen und physischen Leiden vorzeitig pensionierter Lehrkräfte in vier Bundesländern

 

BayernHamburgBaden-Württemberg*) Niedersachsen
Kategorien N = 311 N = 126 N = 562   N = 365
Psychische, psychosomatische Erkrankungen 51,239,744,053,2
Organische Erkrankungen 36,7 47,539,0 41,6
Unbekannte, sonstige Krankheitsbilder 12,212,8 17,05,2

("nur" Alkohol)*) Anmerkung: Die Kategorie "Sowohl organische als auch psychische Leiden" mit 9,5 % wurde nicht mit eingerechnetWenn man bedenkt, was die Ausbildung eines Lehrers den Steuerzahler kostet, und wenn man sieht, dass immer weniger Lehrer ihre Lebensarbeitszeit voll ausschöpfen können, weil sie krankheitsbedingt vorzeitig aus dem Schuldienst ausscheiden, dann erzwingt auch dieses Kostenargument erhöhte Aufmerksamkeit.