Befragt man Lehrkräfte nach ihren Erfahrungen mit Kolleginnen und Kollegen in der täglichen Arbeit an ihrer Schule, dann bekommt man einen eher ernüchternden Eindruck von den kollegialen Beziehungen. Vielfach wird das Kollegium als in Gruppen und Fraktionen aufgespalten erlebt. Es gibt eher wenig pädagogische Zusammenarbeit. Sie beschränkt sich oft nur auf informelle Kontakte und ausserschulische Aktivitäten. Eher beherrschen Konkurrenz und distanzierte, wenig offene Kommunikation den kollegialen Umgang.

Es gibt aber einige Unterschiede: Männliche Kollegen sind stärker konkurrenz- und die weiblichen eher kooperationsorientiert. An Gesamtschulen ist die kollegiale Kooperation weiter verbreitet als am traditionellen Gymnasium. Und nicht zuletzt wirkt sich auch noch die Dauer der beruflichen Tätigkeit aus. Es zeigt sich, dass Einzelgängertum, gegenseitiges Misstrauen, Vorsicht und "Lagerdenken" mit dem Alter der Kolleginnen und Kollegen zunimmt (1). Durchgängig positive Beziehungen im Kollegium dürften deshalb auch eher die Ausnahme als die Regel sein, wie Ulich (2) feststellt. Nach Terhart (3) sind es auch nur 30 Prozent der Lehrerinnen und 24 Prozent der Lehrer, die mit ihrem Verhältnis zu den Kolleginnen und Kollegen an der Schule zufrieden sind.

Dieser Mangel an Kollegialität, an Kooperation und an Austausch von Erfahrungen wird gleichzeitig von vielen Lehrkräften als negativ und als belastend erlebt (4). Er ist mit ein Grund, den Beruf zu kündigen, wie eine Schweizer Studie an Volksschullehrerinnen und -lehrern nachweisen konnte (5). Probleme und Konflikte mit Kolleginnen und Kollegen, die sich u.a. auch daraus ergeben können, stellen, wenn auch nicht die wichtigste, so aber doch eine wesentliche Belastungsquelle ihrer beruflichen Tätigkeit dar (6).

Auch in einer Befragung von Grund- und Hauptschullehrerinnen und -lehrern in Nürnberg und Neustadt/Aisch wird dies deutlich (7). Die fehlende Solidarität bzw. Kooperation im Kollegium ist der drittwichtigste Belastungsfaktor "im sonstigen schulischen Bereich". Beispiele hierfür sind:

  • "Kaum fachliche Zusammenarbeit unter den Kollegen"
  • "Sinkende Solidarität der Lehrer untereinander, abnehmendes Zusammengehörigkeitsgefühl. "Nachwuchs" oft überzogen selbstbewusst (im Bewusstsein, die "bessere" Ausbildung genossen zu haben)"
  • "Mangelnde Gesprächsbereitschaft, keine Bearbeitung der anstehenden Probleme im Kollegenkreis"

Die Gründe für diesen Umstand sind vielschichtig. Sie sind nicht vornehmlich bei den Lehrkräften zu suchen und als individuelles Fehlverhalten zu identifizieren. Sie liegen massgeblich in der Berufsrolle und den Bedingungen der Lehrerinnen- und Lehrertätigkeit. Hierzu ist schon einiges gesagt worden. An dieser Stelle sollen nur noch stichpunktartig einige Erkenntnisse hinzugefügt werden (8). Wichtige Faktoren sind:

  • das Spannungsverhältnis zwischen den institutionellen Anforderungen der Schule und den subjektiven Bedürfnissen der Lehrkräfte: "Die bürokratische Organisation von Schule und Unterricht, die Verbindlichkeit der Lehrpläne und Beurteilungsverfahren, Beamtenstatus und Verrechtlichung pädagogischen Handelns begrenzen die individuelle Entfaltung und Spontaneität auch im Umgang mit Kolleginnen und Kollegen" (9).
  • die Personalisierung struktureller Defizite der Schule: Lehrkräfte sind - auch unter dem Druck der öffentlichen Meinungsbildung - eher geneigt, die Folgen der Misere der schulischen Arbeitsbedingungen und der Ausbildung sich selbst anzulasten und als individuelle Defizite zu erleben. Sie leiden individuell, ziehen sich zurück und isolieren sich.
  • die Hierarchie- und Prestigeunterschiede im Kollegium: Unterschiedliche Positionen, Bezahlung und Unterrichtsfächer der Lehrkräfte machen sich in den informellen Beziehungen der Kolleginnen und Kollegen als Kommunikationsbarrieren bemerkbar.
  • die Arbeits- und Zeitstruktur der Lehrerinnen- und Lehrertätigkeit: Hier spielen viele Faktoren eine Rolle. So z.B. dass es keinen gemeinsamen Arbeitsplatz gibt, dass die Kürze und Hektik der Pausen kaum Gelegenheit zur Kommunikation bieten, dass es aufgrund der beruflichen Spezialisierung zu wenig Gemeinsamkeiten zwischen den Lehrkräften gibt. Insgesamt bedeutsam dürfte sein, dass in der beruflichen Tätigkeit eine strukturell-kooperative Komponente fehlt. Lehrerinnen und Lehrer sind in ihrer Klasse "Einzelkünstler". Sie schwanken in ihrem Erleben zwischen Einsamkeit und Isolation auf der einen und Freiheit der Unterrichtsgestaltung auf der anderen Seite.
  • die Erwartungen an die eigene Person als Lehrerin oder Lehrer: Ulich (10) macht darauf aufmerksam, dass hohe Erwartungen an die Kollegialität eher zu Enttäuschungen führen können. Sie wirken sich gravierender aus, als umgekehrt positive Erfahrungen mit kollegialen Beziehungen. "Wer sich das Kollegium als einen Hort der Geborgenheit, als Kuschelecke vor und nach dem Unterrichtsstress wünscht, wird wohl ziemlich schnell eines Schlechteren belehrt. Längeres Festhalten an diesem Ideal kann zu Dauerfrustration und emotionalen Krisen führen, die Enttäuschung zu überzogenen Negativurteilen" (11).

Nach dieser Betrachtung, die versucht hat, Fassetten der Realität des Umgangs von Kolleginnen und Kollegen an Schulen aufzunehmen, soll in den folgenden beiden Abschnitten eher von einer anderen Position das Thema angegangen werden. Die Frage ist jetzt, welche Kenntnisse die Forschung über gut funktionierende, über "gesunde" Gruppen hat. Welche Merkmale zeichnen sie aus?
Anmerkungen:

(1) vgl. Kraus-Dietz 1993, zit. n.: Ulich, K. (1996). Beruf: Lehrer/in. Arbeitsbelastungen, Beziehungskonflikte, Zufriedenheit. Weinheim: Beltz, S. 157 f.
(2) Ulich, K. (1996). Beruf: Lehrer/in. Arbeitsbelastungen, Beziehungskonflikte, Zufriedenheit. Weinheim: Beltz, S. 158
(3) zit. nach Ulich 1996 (a.a.O.), S. 167
(4) vgl. Redeker 1993, S. 107 ff., zit. nach Ulich 1996 (a.a.O.), S.157
(5) vgl. Grunder, H. U. & Bieri, Th. (1995). Zufrieden in der Schule? - Zufrieden mit der Schule? - Berufszufriedenheit und Kündigungsgründe von Lehrkräften. Bern: Haupt
(6) vgl. Terhart 1993, S. 139, zit. n. Ulich 1996 (a.a.O.), S. 167
(7) vgl. Spanhel, D. & Hüber, H.-G. (1995). Lehrersein heute - berufliche Belastungen und Wege zu deren Bewältigung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 13 ff.
(8) vgl. hierzu auch Ulich 1996 (a.a.O.), S. 147ff
(9) Ulich 1996, (a.a.O.), S. 158
(10) Ulrich 1996 (a.a.O.), S. 159
(11) Ulrich, ebd.

Ulrich Barkholz, Georg Israel, Peter Paulus, Norbert Posse: Gesundheitsförderung in der Schule. Ein Handbuch für Lehrerinnen und Lehrer. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Soest 1997.