Die Ausgangsvoraussetzungen

Unser Einstieg in Schulentwicklung begann 1991 mit der Einführung des "Jahrgangsmodell", mit der die zentrale Schulstruktur durch eine auf die Jahrgänge konzentrierte dezentrale Organisationsform ergänzt wurde:
Auf jeweils einer Etage organisieren sich die 6 Klassen eines Jahrgangs in relativer Selbstständigkeit, die Kolleginnen und Kollegen planen und koordinieren das Schuljahr, Klassenarbeiten, Ausflüge, Feste usw.
Man kennt sich, gestaltet gemeinsam: Für Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte gibt es in dieser riesigen Schule so etwas wie ein "Zuhause" (1).

Damit waren die Voraussetzungen für neue Formen der Zusammenarbeit geschaffen, wir erwarteten darüber hinaus einen neuen Schub an pädagogischer Innovation.

In den folgenden zwei Jahren gab es eine Fülle verschiedener Projektansätze und jahrgangsunabhängiger Arbeitskreise, in denen sich die reformfreudigen Kolleginnen und Kollegen um punktuelle Erneuerung ihrer Schule bemühten, oft ohne voneinander zu wissen:

Sie arbeiteten erfolgreich an der Integration behinderter Kinder, der Verkehrsberuhigung vor der Schule, einer Erneuerung der Berufsorientierung, der Chancengleichheit von Mädchen und Jungen, der Reform des Wahlpflichtbereiches, der Einführung eines fächerübergreifenden naturwissenschaftlichen Unterrichts, der Einführung eines Mittagstisches, der Zusammenarbeit mit dem örtlichen Sportverein und an vielen anderen Vorhaben: Arbeitsbereiche, die Teilaspekte der späteren Gesundheitsfördernden Schule vorwegnahmen.

Aber diese Projekte fügten sich nicht zu einer Struktur zusammen; es fehlte ein koordinierendes Wertesystem. Die Beziehungen waren innerhalb der Projekte, nicht aber zwischen ihnen entwickelt:
Die bisher wirkungsvollen Instrumente der Schulentwicklung hatten sich verbraucht. Manche Initiativen versandeten wieder. Der erwartete Anstoß zu pädagogischer Innovation blieb aus.

Gleichzeitig war die Schule in eine Zeit bildungspolitischen Rollbacks geraten: Die Rahmenbedingungen für Unterricht und Schulentwicklung verschlechterten sich massiv und statt bisheriger Reformfreude begann sich eine resignative Stimmung in Teilen des Kollegiums auszubreiten. In den neuen Jahrgängen wuchs eine Atmosphäre provinzieller Genügsamkeit.

In dieser Situation ermöglichte uns die Teilnahme am BLK-Modellversuch "Netzwerk Gesundheitsfördernde Schulen" - einem auf knapp vier Jahre begrenzten Projekt(2) - Erfahrungen mit zielgerichteter Schulentwicklungsarbeit zu machen.

Wir wollten herausfinden, wie die vielen Ideen und Initiativen zu einem Schulprofil zusammengefasst werden könnten. Wir wollten ausprobieren, welche Methoden und Strategien für eine gesündere Veränderung der Schule nützlich sind, welche Schulstrukturen eine solche Weiterentwicklung begünstigen.

"Gesundheitsförderung durch Schulentwicklung" nannten wir den Versuch der Jahnschule, durch Organisationsentwicklung eine gesundheitsförderliche Gestaltung der Schule insgesamt anzuregen.

Organisationsentwicklung meint einen "längerfristigen, organisationsumfassenden Entwicklungs- und Veränderungsprozess von Organisationen und den in ihr tätigen Menschen. Die wichtigsten Grundsätze sind:

  • keine Aktivität ohne Auftrag
  • ganzheitliches Denken und Handelnkeine Maßnahme ohne Diagnose
  • Hilfe zur Selbsthilfe
  • Beteiligung der Betroffenen
  • Prozessorientiertes Vorgehen.

Der BLK-Modellversuch "Netzwerk Gesundheitsfördernde Schulen"

Alle an dem Modellversuch teilnehmenden Schulen wurden aufgefordert, ihr eigenes Profil einer gesundheitsfördernden Schule zu entwickeln und ihre spezifischen Entwicklungsschritte den schulischen Gegebenheiten entsprechend einzurichten.

Wir griffen aus dieser Aufgabenbeschreibung des Modellversuchs die Frage heraus, welche Aspekte schulischer Organisationsentwicklung es zu beachten gelte, um Schulen als gesunde Organisationen zu qualifizieren.

Zwei Jahre später beschreibt S. Seeger in einem Aufsatz über die verschiedenen Wege zur gesundheitsfördernden Schule (3) die "Herausforderung" genauer, "aus Lernorten gesundheitsfördernde Lebens- und Erfahrungsräume mit einem individuellen Schulprofil zu gestalten". Es gehe darum

  • " ein schulspezifisches Gesamtkonzept ...zu entwickeln
  • die Autonomie der Einzelschule..zu vergrößern und durch systematische Prozesssteuerung für Gesundheitsförderung zu nutzen
  • schulinterne Organisationsstrukturen flexibel zu gestalten (offene Kommunikation)
  • Transparenz, Kooperation, Partizipation der Betroffenen)..." (4)

Die Ottawa-Charter der WHO sagt dazu: "Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung ... zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen." In diesem Sinne betrachten wir Schulentwicklung an der Jahnschule als einen Prozess aller an der Schule beteiligten Gruppen. Schule gesünder machen heißt auch, ihr demokratisches Potenzial zu erhöhen.

Das Projektmanagement

Die Lehrerkonferenz entschied sich nach einem einjährigen Vorlauf (Information und Diskussion in den Schulgremien) für die Teilnahme am Modellversuch und wählten zwei Kolleg(inn)en für die Projektleitung.

Sie erhielten dafür eine Stundenentlastung. Schulleitung und Projektleitung entschieden sich dafür, den Schulentwicklungsprozess nach den Kriterien der Organisationsentwicklung auszurichten.

Aufgaben und Kompetenzen der Projektleitung wurden in einem Vertrag fixiert. Die wesentliche Inhalte waren:

Die Projektleitung steuert den Entwicklungsprozess des Projektes. Sie hat die Aufgabe,

  • Entwicklungsaufgaben zu erkennen und gegeneinander abzuwägen,
  • zukünftig zu bildenden Projekt-Arbeitsgruppen Hilfe anzubieten oder zu vermitteln (z.B. Beratung, Supervision, Fortbildung),
  • für die Einhaltung von eingegangenen Verpflichtungen zu sorgen,
  • Prozesse für die Beteiligten transparent zu machen usw.

Sie vertritt das Projekt nach außen. Das Projekt arbeitet prozessorientiert: die Beteiligten formulieren vorläufige Ziele, arbeiten darauf zu, verändern sie bei Bedarf und lernen im Handeln. Der Vertrag kann deshalb revidiert und fortgeschrieben werden.

Eingerichtet wurden:

  • eine Projektberatungsgruppe, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräften, der nichtpädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Schulleitung zusammensetzte. Ihre Funktion bestand in der Beratung, der Projektleitung zur Steuerung und kontinuierlichen Evaluation des Projektprozesses: Ähnlich einem Helikopter, der die Teilnehmer einer Segelschiffparade aus der Luft koordiniert, betrachtet diese Gruppe die Teilprojekte mit Blick auf die Schulentwicklungsziele. Sie hat Lotsenfunktion, kann also nur Empfehlungen aussprechen.
  • regelmäßige Treffen zwischen der Schulleitung und der Projektleitung: Der Projektleitung war vertraglich als temporäre Leitung eine Selbstständigkeit im Rahmen des Projektes eingeräumt worden, dennoch betreffen viele Entwicklungsschritte des Schulentwicklungsprojektes die Aufgaben der Schulleitung unmittelbar, so dass eine regelmäßige Zusammenarbeit unerlässlich ist.
  • eine externe Projektberatung durch zwei in Organisationsentwicklung qualifizierte Schulpsychologinnen der staatlichen Dienststelle "Schülerhilfe" in Hamburg. Sie sollten laut Vertrag Projektleitung und Schulleitung fachlich beraten und im Schulentwicklungsprozess begleiten, die Projektberatungsgruppe moderieren und in Organisationsentwicklung fortbilden.

Anmerkungen:

(1) Wir berichteten darüber in der Zeitschrift "Hamburg macht Schule", Heft 1/92
(2) vgl. Arnhold, W. et al. (1997): BLK-Modellversuch "Netzwerk Gesundheitsfördernde Schulen". Abschlussbericht der Projektleitung und der wissenschaftlichen Beratung. Flensburg, Kiel und Magdeburg: Eigendruck
(3) Seeger, S. (1995): Wege zu gesundheits-fördernden Schulen. Hoffnungen und Gefahren. In: Prävention, Heft 4, S. 114-116
(4) Seeger, S. (1995). Wege zu gesundheitsfördernden Schulen. Hoffnungen und Gefahren. Prävention 4, S. 115

Angelika Ntschkowski in: Ulrich Barkholz u.a.: Gesundheitsförderung in der Schule. Ein Handbuch für Lehrerinnen und Lehrer. Soest 1998.