Gesundheit betrifft zuallererst jeden Menschen selbst. Auch wenn uns die moderne Medizin oder die Sozialwissenschaften mitunter den Eindruck vermitteln, es gebe in Bezug auf Gesundheit klare Definitionen oder Normen, so ist Gesundheit dennoch nicht zu trennen vom subjektiven Empfinden persönlichen Gesund- oder Nicht-Gesundseins. Gesundheit wird gerne als "das höchste Gut" bezeichnet, über das wir Menschen verfügen dürfen. Gesundheit ist aber auch gleichzeitig ein Merkmal, das wir so lange als selbstverständlich empfinden, wie wir an uns selber keine gesundheitlichen Einbußen feststellen. Erst dann, wenn wir spüren, dass es erforderlich ist, etwas zur eigenen Gesund-Erhaltung zu tun, fangen wir in der Regel an, uns gründlichere Gedanken über Gesundheit und Gesund-Erhaltung zu machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht, steigt mit zunehmendem Lebensalter.

Darüber hinaus hat Gesundheit erhebliche und vielfältige gesellschaftliche Relevanzen. Sie ist ein bedeutendes Merkmal gesellschaftlicher Produktivkraft; ihre Erhaltung und Wiederherstellung bildet einen beträchtlichen öffentlichen und privaten Kostenfaktor. Sie ist abhängig von einer Vielzahl körperlicher, seelischer, sozialer und umweltbezogener Faktoren. Sie ist mehrdimensional. Beinahe alles, was in privaten oder öffentlichen sozialen Feldern geschieht, ist in hohem Maße gesundheitsrelevant. Dies gilt auch für die Schule. Schulen haben nicht nur einen in den Lehrplänen verankerten Bildungs- und Erziehungsauftrag zum Schutz und Erhalt von Gesundheit - sie sind gleichzeitig Bestandteil des Alltagslebens vieler Menschen, die täglich in ihnen lernen und lehren; der Arbeitsplatz Schule hat damit bedeutenden Einfluss auf deren persönliche Gesundheit.

Wie unterschiedlich Menschen jedoch das einschätzen, was ihrem persönlichen Wohlbefinden zuträglich ist und was nicht, dürfte gerade bei Lehrkräften zum allgemeinen Erfahrungsschatz gehören. Es beginnt z.B. bei der Auseinandersetzung um die Zutaten zu einem "gesunden" Schulfrühstück, setzt sich fort etwa in Diskussionen um das Für und Wider des Rauchens im Lehrerzimmer, drückt sich aus in den unterschiedlichen Wünschen der Eltern an schulische Gesundheitserziehung ebenso wie in den Wünschen der Lehrkräfte nach häuslicher Unterstützung schulischer Gesundheitserziehung und mündet schließlich in bildungs- und allgemeinpolitische Kontroversen.

Jeder Abschnitt der Folgekapitel beginnt mit einem "biografischen Einstieg". Dieser wendet sich zunächst ausschließlich an die Person des Lesers oder der Leserin und stellt die Beziehung zwischen der im Kapitel entfalteten Handlungsebene und der eigenen Person her. Es werden in der Regel noch keine Anregungen für die Umsetzung in der Schule gegeben. Einige Vorschläge für die Erarbeitung der Übungen in Kollegiumsgruppen werden gemacht; aber zunächst geht es überwiegend um die Person des Lesers oder der Leserin selbst. Wir sehen diese Form des Einstiegs als ein persönliches Fortbildungsangebot, das die Möglichkeit eröffnet, sich zunächst frei und unabhängig von den Anforderungen und Erwartungen der alltäglichen Berufspraxis mit dem Thema "Gesundheit" persönlich auseinander zu setzen. Eine solche Form der persönlichen Auseinandersetzung und Klärung halten wir gerade beim Thema "Gesundheit" für sehr wesentlich. Wenn persönliche Dispositionen erkannt und reflektiert werden, gibt dies mehr Sicherheit und Klarheit im Umgang mit anderen.

So sollten Sie mit den biografischen Einstiegen umgehen.

Sie bestimmen, in welchem Umfang und in welchem zeitlichen Rahmen Sie dieses Angebot wahrnehmen möchten. Wir empfehlen Ihnen, sich so viel Zeit zu nehmen, die angebotenen Übungen nicht nur zu lesen oder zu "überfliegen", sondern sie in Ruhe durchzuarbeiten. Sie müssen die Übungen nicht zwingend in der vorgegebenen Reihenfolge bearbeiten, sondern Sie können durchaus dort einsteigen, wo es Sie zunächst besonders interessiert. Sie sollten sich aber nicht zu viel auf einmal vornehmen, sondern sich die Zeit nehmen, in Abständen, die nicht zu weit auseinander liegen sollten, jeweils einen Schritt weiter zu gehen. Die Übungsresultate werden um so ertragreicher sein, je besser es Ihnen in dieser Weise gelingt, schrittweise vorzugehen und sich für die einzelnen Übungsschritte genügend Zeit zu lassen.

Während des Durcharbeitens werden Sie schnell feststellen, dass viele der Übungen durchaus für eine Bearbeitung in Gruppen geeignet sind oder auch methodische Anregungen für eine Behandlung im Unterricht bieten. Biografisches Arbeiten in der Gruppe erfordert jedoch ein gewisses Maß an Vertrautheit, Offenheit und vor allem eine aufgeschlossene, positive Grundeinstellung der Gruppe. Wenn Sie in einen solchen Kreis von Kolleginnen und Kollegen integriert sind, können die Übungen auch in der Gruppe sehr ertragreich sein. Da die Gesundheit aber zunächst ein ganz persönliches "Gut" ist, möchten wir Sie an dieser Stelle ermutigen, zunächst diesen persönlichen Klärungsprozess zu durchlaufen. Dieses bessere Sich-Selbst-Verstehen bietet Ihnen einige Vorteile - sozusagen eine bessere Ausgangsposition. Gudjons u.a.i haben die sich ergebenden Chancen wie folgt formuliert:
Durch das Verstehen kann ein Annehmen / ein Versöhnen mit der eigenen Geschichte oder mit bestimmten Anteilen der Persönlichkeit gelingen. Darin liegt das Potenzial zur Weiterentwicklung, zum persönlichen Wachstum, zur Entfaltung der Persönlichkeit. Das Akzeptieren und das Begreifen der eigenen lebensgeschichtlichen Gewordenheit lässt eine empathische (einfühlsam-verstehende) Haltung zu sich selbst entstehen und setzt Kräfte frei, um für sich neue Fähigkeiten zu entdecken und konkrete Möglichkeiten und Handlungsperspektiven zu entwickeln. Über das Erkennen der individuellen Geschichte hinaus ermöglicht die biografische Selbstreflexion ein Begreifen gesellschaftlicher Bedingungen entlang der eigenen Erfahrung in eindringlicherer Form als dies über gesellschaftstheoretische Einsichten vermittelbar wäre."

Gudjons, H., Pieper, M., Wagener, B. (1986): Auf meinen Spuren. Das Entdecken der eigenen Lebensgeschichte. Reinbek: rororo sachbuch, S. 11