Nachdem bis jetzt viel von Belastung und Stress die Rede war, soll nun der Blick auf das Wohlbefinden der Lehrkräfte in der Schule gerichtet werden. Hierzu gibt es leider noch wenig stichhaltige Untersuchungsergebnisse, weil sich die Forschung mit diesem Aspekt der Lehrertätigkeit noch kaum beschäftigt hat. Insgesamt herrscht deshalb auch der Eindruck vor, dass die Berufstätigkeit der Lehrkräfte überwiegend von psychischen und psychosomatischen Beeinträchtigungen und Auffälligkeiten geprägt ist. Nach den Ergebnissen neuerer Untersuchungen sind aber die erlebten Belastungen für einen nicht geringen Teil der Lehrkräfte nur eine Seite der "Gesundheitsmedaille" der Lehrkräfte .

Mehr Lust als Frust - Ergebnisse aus einer repräsentativen Befragung

(N = 1123 deutsche Lehrkräfte)

"Entgegen einem häufig vermittelten Bild scheint sich die berufliche Belastung von Lehrern nach eigener Einschätzung in erträglichen Grenzen zu halten. "Ich fühle mich voller Energie" ist für die meisten der Befragten ein normales Gefühl. Erschöpfung morgens schon beim Aufstehen erleben 40 Prozent selten, 20 Prozent nie. Gleichwohl glauben zahlreiche Lehrer, sich bei der Arbeit zu sehr anzustrengen - täglich (18 Prozent) oder mindestens einmal pro Woche (27 Prozent)."(1)

Randoll (1995), der N = 294 Oberstufenlehrerinnen und -lehrer aus vier alten und einem neuen Bundesland zu ihrer Wahrnehmung von Schule befragte, fand z.B., dass sich 88 Prozent der West- und 91 Prozent der Ost-Lehrkräfte in der Schule wohl fühlen und gerne Lehrerin bzw. Lehrer sind (West 92 Prozent; Ost 90 Prozent).(2)

Das Wohlbefinden der Lehrkräfte lässt sich auch daran ablesen, wie sie ihre Gefühle, Stimmungen und Motivationen während ihres Berufsalltags beschreiben. Eine Befragung von N= 104 Sekundarstufe- I- Lehrkräften in Bremerhaven ergab z.B., dass sie am häufigsten "gut drauf" (62,3 Prozent), optimistisch (59,4 Prozent), fröhlich (57,9 Prozent), schwungvoll (57,7 Prozent) und gelassen (57,0 Prozent) sind. Aber natürlich wird auch die andere Seite des Berufs sichtbar, wenn sie sich gehetzt (42,4 Prozent), genervt (33,0 Prozent), ausgebrannt (28,0 Prozent) und frustriert (25,7 Prozent) fühlen.

Wie sieht so eine Lehrkraft aus, die sich in der Schule wohl fühlt? Wie verhält sie sich? Die befragten Lehrkräfte haben eine sehr einheitliche Vorstellung von solch einer Lehrkraft. eine zusammenfassende Beschreibung.

Die Lehrkraft, die sich in der Schule wohl fühlt:(3)

Sie/Er kommt frisch und ausgeschlafen in die Schule; der Gang ist leichtfüssig, die Schultern sind locker, die Stirn ist frei, es bestehen keine körperlichen Beschwerden. Sie/Er ist guter Laune, beschwingt, fröhlich. Das zeigt sich daran, dass sie/er häufig pfeift, lacht oder singt. Sie/Er nimmt Kontakt auf, ist gesprächig, zu Späßen aufgelegt. Sie/Er ist gut auf den Unterricht vorbereitet, geht schwungvoll und mit Tatendrang in den Unterricht, hat Lust, Neues auszuprobieren, zu experimentieren, ist flexibel und kreativ, plant Projekte. Die Zeit in der Schule vergeht schnell, die Kraft ist nicht völlig aufgebraucht. Sie/Er bleibt länger in der Schule, hat Lust zu zusätzlichen Arbeiten, zu ausserunterrichtlichem Engagement, zu eigener Fortbildung.

  • Im Kontakt mit Schülern hat sie/er einen freundlichen Umgangston, hat Geduld, ist hilfsbereit, geht auf Schülerwünsche ein, hat ein offenes Ohr für Schülerprobleme, hat mehr private Kontakte mit Schülerinnen/Schülern.
  • Sie/Er spricht häufiger mit Kolleginnen/Kollegen, der Umgangston ist freundlich; sie/er sieht die Kolleginnen/Kollegen positiv.
  • Sie/Er hat vermehrte Kontakte zu Eltern.
  • Bei Problemen reagiert sie/er gelassen, ruhig, humorvoll, behält ihre/seine innere Ruhe, bleibt entspannt, ist geduldig, nimmt die Probleme nicht so Ernst.

Auch die Untersuchungen, die sich mit der Berufszufriedenheit von Lehrkräften beschäftigen sind hier von Interesse, da Zufriedenheit eine der Komponenten von Wohlbefinden ist. Auch ihre Befunde weisen in die gleiche Richtung, wie die eben zitierten. Durchgängig findet man, dass ein Grossteil der Lehrkräfte mit ihrem Beruf sehr zufrieden sind. Dass 75 Prozent und mehr des Lehrpersonals hoch bis sehr hoch mit ihrem Beruf zufrieden sind, scheint die Regel zu sein.(4) Viele würden ihren Beruf wieder ergreifen.(5) In der Untersuchung von Kramis-Aebischer(6) an N = 152 Schweizer Lehrkräften der Orientierungsstufe sind es z.B. 83 Prozent, die ziemlich bis völlig sicher sind, dass sie den Lehrerberuf jederzeit und ohne zu zögern wieder ergreifen würden.

Diese Ergebnisse mögen zunächst erstaunen. Ulich(7) spricht deshalb auch vom "Paradox der Lehrertätigkeit". Wer ergreift schon einen Beruf, der so viel Belastungen mit sich bringt? Es muss also auch noch etwas Anderes geben, was diesen Beruf trotz seiner Anstrengungen attraktiv macht und was die Zufriedenheit steigert und damit auch zum Wohlbefinden beiträgt.

Anmerkungen

(1) Kanders, M,; Rolff, H.G. & Rösner, E. (1996). Mehr Lust als Frust. Die Zeit Nr. 12, 15.3., S. 35

(2) Randoll, D. (1995). Schule im Urteil von Lehrern. Ergebnisse einer Befragung von Oberstufenlehrern aus vier alten und einem neuen Bundesland zu ihrer Wahrnehmung von Schule. Göttingen: Hogrefe

(3) mit leichten Veränderungen aus Keller , W.; Laeger, E.; Sauerland, A. & Wetjen, M. (1993). Wohlbefinden von Lehrerinnen und Lehrern an Sek.-I-Zentren. Bremerhaven: Schulpsychologischer Dienst. S.19f

(4) vgl. Kramis-Aebischer, K. (1995). Stress, Belastungen und Belastungsverarbeitung im Lehrberuf. Bern: Haupt, S. 189 f., 222 ff.; sowie: Ulich, K. (1996). Beruf: Lehrer/in. Arbeitsbelastungen, Beziehungskonflikte, Zufriedenheit. Weinheim: Beltz, S. 222 ff.

(5) Peez, H. (1991). 70 Prozent würden wieder Lehrer werden. Bayrische Schule, 44(7), 6-8

(6) 1995, a.a.O., S. 222 ff.

(7) 1996, a.a.O.

Ulrich Barkholz, Georg Israel, Peter Paulus, Norbert Posse: Gesundheitsförderung in der Schule. - Ein Handbuch für Lehrerinnen und Lehrer. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, Soest 1997, S. 162 ff.