In den letzten beiden Jahrhunderten ist die Lebensdauer der Menschen in den westlichen Gesellschaften um rund 40 Lebensjahre gewachsen, sie hat sich praktisch verdoppelt. Die Menschen in Deutschland, der Schweiz und Österreich aber auch in allen anderen europäischen Ländern werden immer älter. 90 Lebensjahre werden zur Regel. Im Vergleich zu 1900 werden zugleich erheblich weniger Kinder geboren. Die ältere Generation wird zahlenmäßig und damit auch politisch immer wichtiger, die jüngere verliert an Einfluss. Es wird nur noch einige wenige Jahre dauern, dann leben in Deutschland genauso viele Menschen über 50 wie unter 50 Jahren. Was wir bisher nur aus Lehrerkollegien kannten, gilt dann für die ganze Gesellschaft: Die Interessen der Älteren schlagen stärker durch als die der Jüngeren, die Ressourcen werden ungleich zwischen den Generationen verteilt.
Die demografische Veränderung führt zu dramatischen Umschichtungen der Lebensspannen:

  • Die Lebensphase Kindheit wird immer kürzer, das Jugendalter beginnt immer früher. Der Zeitpunkt der Geschlechtsreife („Pubertät“) hat sich von 1800 bis 2000 um fast fünf Jahre im Lebenslauf nach vorne verschoben, wahrscheinlich wegen ernährungs-und umweltbedingter Beschleunigungen der Hormonproduktion. Es gibt heute schon neunjährige Mädchen, die biologisch gesehen zur Frau geworden sind. Das Durchschnittsalter für das Eintreten der Pubertät liegt bei 11,5 Jahren für Mädchen, Jungen folgen ein Jahr später.
  • Angesichts dieser Entwicklung müssen Eltern sich sputen, eine gute Beziehung zu den Kindern aufzubauen, denn schon nach einem Jahrzehnt erfolgt deren soziale und psychische Ablösung verbunden mit den typischen Verspannungen, Irritationen, Überempfindlichkeiten und Verständigungsproblemen. Diese unvermeidlichen Pubertätsturbulenzen treten heute nicht mehr erst mit 14 und 15 Jahren auf, sondern mitunter schon mit 11 und 12. So gesehen sind heute – im Vergleich zu früher – alle Jugendlichen „frühreif“ (Hurrelmann 2003).
  • Kindheit als eigenständige und geschützte Lebensphase, wie wir sie noch bis in die 1950er Jahre hinein als selbstverständliche kulturelle Errungenschaft wahrgenommen haben, scheint im Abbau begriffen zu sein. Wie Hartmut von Hentig und Neil Portman anschaulich gezeigt haben, schwinden durch die Verfügbarkeit von modernen Medien und den fast ungehinderten Zugang von Kindern zum Konsum-und Freizeitmarkt die lebensgeschichtlichen Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter. Schon Kinder erleben die Vorteile und Nachteile einer offenen und kommerzialisierten Gesellschaft hautnah. Zugleich bekommen sie die Veränderungen im Wirtschafts-und Berufsbereich zu spüren, vor allem über gestiegene formale Anforderungen im Elementar-und im Grundschulbereich und über einen hohen Orginalitätsdruck in der individuellen Lebensführung (nach Aussehen, Kleidung, Sprachstil, Sozialverhalten), der über die Werbung und die Konsumindustrie auf sie einwirkt.
  • Auch das Jugendalter ist in seiner Gestalt gegenüber 1950, als es historisch zum ersten Mal voll ausgeprägt zu erkennen war, völlig verändert. Es beginnt in den westlichen Gesellschaften so früh wie noch nie, aber es hat kein richtiges Ende mehr. Der traditionell typische und bis 1960 auch immer noch mehrheitlich zu beobachtende Übergang vom Jugendalter in das Erwachsenenalter war durch die Übernahme der Erwerbstätigkeit und das Eintreten in ein Familienleben mit eigenen Kindern charakterisiert.
  • Die beiden Meilensteine Berufsübernahme und Heirat, die den Eintritt in „das“ gesellschaftliche Leben markierten, werden heute von den meisten Jugendlichen entweder sehr spät, manchmal erst im vierten Lebensjahrzehnt, oft aber gar nicht passiert. Das Jugendalter, zur Mitte des vorigen Jahrhunderts als eine Übergangszeit zwischen der abhängigen Kinderzeit und der selbstständigen Erwachsenenzeit entstanden, ist heute zu einem langgestreckten Lebensabschnitt von im Durchschnitt 15 Jahren geworden. Es hat seinen eigenen Wert und seinen eigenen sozialen Rhythmus, es unterscheidet sich in vielen Facetten (private Lebensgestaltung, Konsumverhalten, Lebensstil) nicht mehr vom Erwachsenenleben. Umgekehrt legen viele Erwachsene Wert darauf, sich so wie Jugendliche zu verhalten, also die Offenheit des Lebens als eine Herausforderung zu begreifen, die kreativ gestaltet werden kann. Das Jugendalter ist keine Übergangsphase mehr, sondern ein Lebensabschnitt eigener Dynamik (Côte 2000).
  • Hiervon ist das Erwachsenenalter betroffen, das nicht mehr der alles dominierende und tonangebende Lebensabschnitt ist, sondern einer unter vielen. Das Seniorenalter jedenfalls ist das expansivste, gemessen an der quantitativen Verlängerung.